Reden wir heutzutage von Digitalisierung, denken wir zuerst an Technologie. Wir denken daran, wie Technologie Einzug in unser Leben hält, Prozesse und Arbeit automatisiert, alles mit allem vernetzt und alle Geräte permanent online sind. Wir denken an grenzenlose Datensammlung und Informationen, die immer und überall zur Verfügung stehen. Natürlich ist richtig, dass die technologische Entwicklung die Digitalisierung überhaupt erst möglich macht und die Beispiele der Digitalisierung sich in Technologiethemen zeigen. Falsch wäre es aber, die Digitalisierung nur als IT-Projekt zu verstehen. Digitalisierung ist sehr viel mehr. Digitalisierung ist eine grundlegende, tiefgreifende Veränderung gesellschaftlicher, geopolitischer und unternehmerischer Verhaltensmuster. Warum Digitalisierung alle Unternehmen, die mit Menschen zu tun haben betrifft, und das es auch darauf ankommen kann, dass eigene Unternehmen komplett in Frage zu stellen, möchte ich im Folgenden etwas ausführen.
Digitalisierung verändert die Mediennutzung
Die Digitalisierung verändert beispielsweise die Mediennutzung und den Informationskonsum. Durch die gestiegenen Anforderungen an unsere Aufmerksamkeit beeinflußt sie dabei nicht nur unsere Konzentration, sondern unsere gesamte kognitive Leistungsfähigkeit. Sie verändert aber auch das Lernen und zur Verfügung stehende Lernkonzepte. Wenn ich heute etwas wissen möchte, stehen ganz viele Informationen zu meinem Thema nahezu immer und überall zur Verfügung. Wenn ich erfolgreich und schnell Informationen benötige, geht es weniger darum, sich an Dinge zu erinnern, oder lange nach Dingen zu suchen. Es ist viel wichtiger, aus der extremen Fülle aller Informationen, diese schnell filtern und den Nutzen bewerten zu können. Die meisten werden sich noch an die Zeiten der Fernsehzeitungen und auch an das vorgeplante Aufnehmen von Sendungen erinnern können. Versuchen Sie aber beispielsweise einmal einem heutigen Grundschulkind zu erklären, dass es eine bestimmte Sendung nicht schauen kann, weil diese gerade nicht im Fernsehen läuft oder sie vergessen haben die Aufnahme zu programmieren. Das Konzept des linearen TV kennen viele Kinder heutzutage einfach gar nicht mehr. Ähnliche Beispiele ließen sich unendlich fortsetzen.
Digitalisierung findet auch zu Hause statt
Die dargestellten Beispiele beziehen sich erst einmal auf unser Privatleben, allerdings betreffen sie natürlich Unternehmen und ihre notwendigen unternehmerischen Strategien nicht weniger stark. Unternehmen und Branchen sind in der Regel nicht so flexibel wie private Haushalte. Wenn sie mit ihrem neuen Fernseher auf einen Streamingdienst wie Netflix umstellen, entsorgen sie einfach ihren DVD-Player. Vielleicht haben sie auch noch eine Kiste mit DVDs, die verschenkt oder verkauft wird. Schade drum. Aber noch vor dem Ende des kostenlosen Probemonats ist die private digitale Transformation im Entertainmentbereich abgeschlossen. In einem Unternehmen beispielsweise eine neue Software einzuführen, mit der dann einige Mitarbeiter nicht mehr benötigt werden, ist unternehmerisch, moralisch und gesellschaftspolitisch eine ganz andere Herausforderung.
Digitalisierung betrifft jeden, der mit Menschen zu hat
Aber selbst wenn ich der Meinung wäre, für mein Unternehmen und in meiner Branche spielt die Digitalisierung keine Rolle, so haben doch meine Mitarbeiter und wahrscheinlich der größte Teil meiner Kunden etwas gemeinsam. Richtig, sie sind Menschen. Und als Mensch sind diese in Ihren gesellschaftlichen Strukturen und Netzwerken den oben genannten Einflüssen und Veränderungen ausgesetzt. Die einen mehr, andere weniger. Ich möchte jetzt hier gar nicht auf die Anforderungen junger Mitarbeiter der Generationen V und Z eingehen, aber sobald wir in unserem Unternehmen mit Menschen zu tun haben, schließt sich der Kreis, und der Ball der Digitalisierung liegt wieder in unserem Feld.
Digitalisierung ist eine Frage des Mindsets
Wenn wir jetzt aber die ganze Zeit von technologischen Einflüssen reden, warum ist dann die Digitalisierung kein IT-Projekt? Wenn ich mich als Unternehmer oder Führungskraft auf die Anforderungen der Digitalisierung einstellen und vorbereiten möchte, muss ich meine Mentalität, mein Mindset, meine Einstellung anpassen. Ich muss offen und neugierig sein und mich auf Veränderung ausrichten. Es ist auch wenig hilfreich, Dinge schön zu reden und sich selbst oder anderen etwas vorzumachen. Im Zusammenhang mit Digitalisierung wird oftmals von Disruption gesprochen. Abgeleitet vom lateinischen disrumpere = zerreissen, zerbrechen, zerschlagen soll es bedeuten, dass bestehende, vertraute und oftmals langjährige Geschäftsprozesse sowie Verhaltensweisen radikal in Frage gestellt und ersetzt werden. Jeder Unternehmer ist nicht nur deshalb sehr gut beraten, maximal offen, neugierig und kritisch an das eigene Unternehmen, die eigenen Produkte oder Leistungen und die eingesetzten Prozesse heranzugehen. Informationen und Ratschläge der eigenen Branchenverbände oder Branchenexperten sind zwar meist gut gemeint, aber mindestens mit größter Vorsicht zu betrachten. Disruptive Innovationen und wirklich neue Geschäftsmodelle kommen oft von außerhalb der eigenen Branche. Branchenfremde halten sich nicht an bestehende Konventionen und stellen die gelernten Denkmuster und Rahmen in Frage, die innerhalb der eigenen Branche seit Jahren akzeptiert sind.
Das eigene Unternehmen gedanklich zu zerstören, wäre schonmal ein guter Anfang
Um sich die richtigen Fragen zu stellen, bietet sich folgende Übung an. Fragen sie sich, ob und wie es den Markt für ihr Unternehmen in Zukunft noch gibt. Welche Produkte und Leistungen müsste ein Wettbewerber bieten, um das eigene Unternehmen maximal in Bedrängnis zu bringen oder zu zerstören. Was würden sie in der Rolle eines Wettbewerbers tun, wenn sie ihr eigenes Unternehmen so richtig zum Schwitzen bringen oder gar ruinieren würden. Ziel sollte es sein, mit der richtigen Fragestellung, diese Ideen vor dem Wettbewerb zu haben. Die nötigen Schritte als Erster zu entwickeln und die resultierenden Veränderungen frühzeitig einzuleiten. Wenn das eigene bisherige Geschäftsmodell Opfer der Disruption wird, wäre es doch erstrebenswert, dass wir es selbst sind, die diese Disruption verursacht haben. Es ist völlig verständlich, dass der Blick über den eigenen Tellerrand im ersten Moment schwer fallen kann. Deshalb darf man keine Scheu haben, sich Hilfe zu holen und beraten zu lassen. Gerade progressive und provokante Fragen kommen mit externer Unterstützung leichter ans Licht. Es ist mitunter sehr schwer, das Etikett zu lesen, wenn man selbst in der Flasche steckt.
Ohne Technologie geht es aber dann doch nicht
Wenn das Mindset stimmt, man sich die richtigen Fragen gestellt und man für sich und sein Unternehmen die nächsten Schritte definiert hat, dann wird man sich natürlich mit der Technologie beschäftigen müssen. Dann kommen die IT-Projekte. Die Technologie wird entweder zum Hilfsmittel oder sie bildet die Voraussetzung für die nächste Entwicklungsstufe. Wenn das Mindset stimmt, können die richtigen Ideen entstehen und auf fruchtbaren Boden fallen.